Über die Schulter geschautWas macht eine Ergotherapeutin am Clementine Kinder­hospital?

Ein Physiotherapeut hilft den Patienten, wieder mobil zu werden oder zu bleiben. Der Logopäde unterstützt Kinder und Erwachsene mit Sprachproblemen. Doch was macht eigentlich ein Ergotherapeut? Wir schauen unseren beiden Ergotherapeutinnen am Clementine Kinder­hospital, Anke Papendieck und Sylvia Gleichfeld, einfach mal über die Schulter. Kristin Brunner

Ein bisschen Angeberwissen vorab. Ergotherapie setzt sich aus den beiden altgriechischen Worten érgon, auf Deutsch Werk, Arbeit, und therapeía, Dienst, Behandlung, zusammen. Soviel zur Etymologie. Der Deutsche Verband der Ergotherapeuten e. V. definiert sie auf seiner Internetseite wie folgt: „Ergotherapie unterstützt und begleitet Menschen jedes Alters, die in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt oder von Einschränkung bedroht sind. Ziel ist, sie bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit in ihrer persönlichen Umwelt zu stärken. Hierbei dienen spezifische Aktivitäten, Umweltanpassung und Beratung dazu, dem Menschen Handlungsfähigkeit im Alltag, gesellschaftliche Teilhabe und eine Verbesserung seiner Lebensqualität zu ermöglichen.“ Soviel zur Theorie.
Doch was bedeutet dies in der Praxis? Anke Papendieck und Sylvia Gleichfeld sind bereits seit mehreren Jahren Ergotherapeutinnen am Clementine Kinder­hospital und beschreiben ihre Arbeit kurz und knapp wie folgt: „Unser Ziel ist es, dass unsere Patienten nach einer schwerwiegenden Krankheit oder einem Unfall so unabhängig wie möglich an ihrem Alltag teilhaben können.“ Dabei helfen sie ihren jungen Patienten nicht nur dabei, alltägliche Aktivitäten wie frühstücken, sich waschen, schreiben oder ein bestimmtes Spiel zu spielen, so selbständig wie möglich durchzuführen. Sie besprechen mit Eltern und Angehörigen auch, wie die Umgebung zuerst innerhalb und später außerhalb des Krankenhauses an die Bedürfnisse der erkrankten Kinder und Jugendlichen angepasst werden kann.


Flexibilität als A und O

Dabei ist keine Behandlung wie die andere. Selbst bei ähnlichen Erkrankungen liegen unterschiedliche Ausprägungen vor. „Dazu kommt die Individualität eines jeden Patienten“, erklärt Anke Papendieck. „Der erste Schritt in unserer Arbeit ist eigentlich, dass wir herausfinden, was unserem Patienten vor seinem Unfall oder seiner Erkrankung Spaß gemacht hat und wie sein Alltag aussah. Mit einem Kind, das sich vorher gerne draußen aufgehalten hat, werden wir dann nicht unbedingt am Computer arbeiten.“ Eine Null- Acht-Fünfzehn-Behandlung gibt es also nicht. Ergotherapeuten müssen kreativ und erfinderisch sein. Wie im Fall von Timo (Name geändert).

Timo leidet unter anderem unter einer Ataxie. Er kann die Bewegungen seiner Hände nur schwer kontrollieren. Doch Timo wollte wieder schreiben können. Da er einen Stift nicht gut halten kann und aufgrund der ausgeprägten Ataxie zielgerichtete Bewegungen nur mit viel Mühe ausführen kann, war es seine Idee, es mit einer Schreibmaschine zu versuchen. Allerdings fehlten für das Drücken der Tasten die Kraft und die Zielgerichtetheit der Bewegung. Zeit für Anke Papendiecks und Sylvia Gleichfelds Ideenreichtum. „Wir hatten schon bald ein Tablet im Sinn. Doch gelang es Timo nicht, die Buchstaben der Tablet-Tastatur zielgerichtet anzusteuern“, beschreibt Sylvia Gleichfeld.

Mit der Unterstützung von Anke Papendieck lernt Timo, wieder auf einem Computer zu schreiben.


Die Lösung: Eine Art Kunststoffgitter, das auf das Tablet und über die Tastatur gelegt wird. Doch auch dies gab Timo nicht genügend Sicherheit. So wurde es am Ende die gute alte Computertastatur, auf die das Gitter gelegt wird. Dort verhindert es nun, dass Timo ungewollt abrutscht und die falschen Buchstaben trifft. Es unterstützt ihn dabei, wieder zu schreiben.

Die Griffadaptionen sind unterschiedlich schwer und verfügen über unterschiedliche Oberflächen, da jedes Kind eine andere Unterstützung benötigt.

„Unser Ziel ist es, dass unsere Patienten nach einer schwerwiegenden Krankheit oder einem Unfall so unabhängig wie möglich an ihrem Alltag teilhaben können.“


Alltägliche Bewegungen wieder erlernen

Hauptsächlich sind es Kinder und Jugendliche mit neurologischen Erkrankungen, die wie Timo in der Ergotherapie des Clementine Kinder­hospitals behandelt werden. Sie haben Schlaganfälle erlitten, ein Tumor hat ihr Gehirn beeinträchtigt oder ihr Nervensystem ist durch einen Unfall beschädigt worden. Viele von ihnen waren zuvor gesunde Kinder bzw. Jugendliche und befinden sich nun in der Neurologischen Rehabilitation Phase B oder C am Clementine Kinder­hospital.
„Oftmals beherrschen die Kinder für sie einst selbstverständliche Dinge, wie die Gabel zum Mund führen, nicht mehr. Wir helfen ihnen dann dabei, diese Bewegungen, die für gesunde Kinder selbstverständlich sind, wieder zu erlernen, auch wenn es manchmal den Einsatz von Hilfsmitteln erfordert“, so Anke Papendieck, die bereits seit mehr als 20 Jahren in der Ergotherapie des Clementine Kinder­hospitals tätig ist.

„Das ist oftmals harte Arbeit für die Patienten. Um keine Frustration aufkommen zu lassen, arbeiten wir daher erst einmal an Bewegungsabläufen, die bereits funktionieren“, fährt sie fort. Die Aufgabe der beiden Ergotherapeutinnen ist es dann, u. a. Bewegungsabläufe in Teilbewegungen zu zerlegen und sie am Ende wieder zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Mag ein Schritt gar nicht funktionieren, versuchen sie, ihn durch eine Adaption zu ersetzen. Manchmal führt dieser Umweg dann sogar dazu, dass die adaptierte Bewegung am Ende wieder möglich ist.

Bei der Handführung bietet Sylvia Gleichfeld den Patienten ausreichend Widerstand, sodass diese sich selbst spüren und die geführte Bewegung besser erleben können. Auf eine verbale Anleitung verzichtet sie dabei.

Enger Austausch

Anhand eines sogenannten Assessment- Bogens (COPM – Canadian Occupational Performance Measure) wird zu Beginn der Therapie gemeinsam mit den Kindern und ihren Eltern ein Interview durchgeführt. Die von den Kindern und deren Angehörigen als problematisch beschriebenen Alltagsaktivitäten werden erfasst und mit Hilfe eines Zahlensystems bewertet. Aus den als problematisch bewerteten Betätigungen werden Ziele abgeleitet. An den festgelegten Zielen wird dann während des Kranken­haus­auf­ent­halts gearbeitet. Zusätzlich wird im Reha-Team das Remissionsprofil für Kinder und Jugendliche nach schweren erworbenen Hirnschädigungen (RemiPro) angewendet. Es dient der Verlaufsdokumentation sowie der Zielformulierung während des Klinikaufenthalts. Wichtig ist dabei, dass nicht nur die Ergotherapeuten mit den Kindern und deren Angehörigen an den Zielen arbeiten.

„Wir sind sehr eng mit den Ärzten, der Pflege und den übrigen therapeutischen Bereichen vernetzt. Wir treffen uns jede Woche und besprechen die Assessment- Bögen. Jeder Bereich trägt dazu bei, dass der Patient hinsichtlich der festgelegten Ziele Fortschritte erreicht. Vieles überschneidet sich einfach“, so Gleichfeld, die seit acht Jahren am Clementine Kinder­hospital arbeitet. Ein halbes Jahr bis neun Monate sind die Kinder im Durchschnitt zur Rehabilitation im Clementine Kinder­hospital, bevor sie nach Hause gehen können.

Dort werden sie oftmals durch ambulante Ergotherapie- Praxen weiterbetreut. „Es ist toll, wenn sich nach einer gewissen Zeit der eine oder andere Patient bzw. dessen Angehörige wieder bei uns melden und wir dann sehen, dass er weitere Fortschritte gemacht hat. Wir freuen uns darüber immer sehr. Schließlich haben wir in den vielen Monaten eine Bindung zu den Kindern aufgebaut. Diese ist zwar professionell, doch die Krankengeschichten bewegen uns natürlich schon“, so Anke Papendieck.

Die "Buchstabenuhr" bereichert die Therapie um eine spielerische Komponente.

Ob sie den Beruf wieder wählen würden? „Ja“, sagen beide unisono. „Ich wüsste nicht, was mir beruflich mehr Spaß machen würde“, ergänzt Sylvia Gleichfeld. „Ich finde es besonders wichtig, dass man Ergotherapie mittlerweile – neben der Ausbildung an einer Fachschule – auch studieren kann. Die Akademisierung trägt zum einen zu einer generell höheren Akzeptanz bei und ermöglicht es zum anderen, dass Studien vorangetrieben werden können“, ergänzt Anke Papendieck.

Auch dass die Ergotherapie so breit gefächert ist, findet sie spannend. „Ergotherapie kann ja nicht nur Kindern und Jugendlichen helfen. Viele unserer Kollegen arbeiten z. B. mit Erwachsenen, die einen Unfall hatten, oder Demenzkranken. Im Krankenhaus kann Ergotherapie noch vielfältiger eingesetzt werden, als dies aktuell allgemein der Fall ist.“ So könnte sich Papendieck u. a. vorstellen, mit Frühgeborenen zu arbeiten.


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