Mit den German Doctors in Bangladesch Medizin bei 36 Grad

Neben ihrer Tätigkeit im Krankenhaus engagieren sich viele unserer Mitarbeiter ehrenamtlich. Gerne stellen wir diese Projekte vor. In dieser Ausgabe erzählt Dr. Rebecca Junek, Assistenzärztin der Medizinischen Klinik des Bürgerhospitals, von ihrer Arbeit für die German Doctors in Bangladesch. Dr. med. Rebecca Junek

Habiba ist 13 Jahre alt. Fast jede Woche kommt sie mit ihrer kleinen Schwester in die Ambulanz der German Doctors im Slum von New Bridge, einem Stadtteil von Chittagong, der zweitgrößten Stadt in Bangladesch. Meistens hat die Zweijährige kleine Bagatellverletzungen oder Husten und Schnupfen. Die Mutter der beiden arbeitet den ganzen Tag in einer Textilfabrik, deshalb muss sich Habiba um ihre Schwester kümmern, anstatt in die Schule zu gehen. Gerade im Slumgebiet der Großstadt trifft man viele ähnliche Schicksale.

Jeden Mittwoch sind die German Doctors im Slum von New Bridge tätig, an den anderen Tagen wird in einer Ambulanz – einer Allgemeinarztpraxis ähnlich – im benachbarten Stadtteil Patharghata gearbeitet. Hier werden diejenigen Patienten kostenfrei behandelt, die sich einen Arztbesuch sonst nicht leisten könnten. Ein flächendeckendes Krankenversicherungssystem gibt es in Bangladesch nicht. Viele unserer Patienten sind Rikschafahrer, arbeiten in einer der unzähligen Textilfabriken oder sind als Straßenverkäufer tätig, manche haben jedoch auch keine Arbeit und leben auf der Straße – auch ein soziales Absicherungssystem gibt es hier nicht.

Anna, eine chirurgisch ausgebildete Krankenschwester, kümmert sich mit viel Hingabe und Geduld um die Versorgung von Wunden oder Verbrennungen.

Der nächste Patient ist 55 Jahre alt, er wiegt lediglich 28 Kilogramm und leidet unter chronischem Husten. Der Sputumtest auf Tuberkulose fiel positiv aus, sodass er jetzt in einem staatlichen TBC-Programm eingebunden ist. Gerade in den ärmeren Bevölkerungsschichten ist Tuberkulose eine weit verbreitete Erkrankung, Isolationsmaßnahmen wie in Deutschland gibt es hier nicht. Meist teilt sich die Familie einen einzigen Raum und schläft gemeinsam in einem Bett. Die hygienischen Umstände im Slum von New Bridge sind gerade zur Monsunzeit katastrophal, wenn durch die Regengüsse die offenen Abwasserkanäle über die Ufer treten und die Wege überschwemmen. Festes Schuhwerk haben die Menschen hier nie, häufig sehen wir superinfizierte Wunden oder Verbrennungen, durch das Kochen über offenem Feuer kommt es immer wieder zu Unfällen.

Im Behandlungszimmer ist es dunkel, unglaublich heiß und stickig. Es herrschen 36 °C mit 60 Prozent Luftfeuchtigkeit. Heute Vormittag gibt es keinen Strom, sodass der Ventilator stillsteht und wir uns für Licht mit einer kleinen batteriebetriebenen Lampe behelfen müssen. Fenster gibt es, jedoch stehen die Gebäude hier so eng, dass wir in einem Zehn-Zentimeter-Abstand auf die Steinmauer des Nebenhauses blicken. Vor dem Behandlungszimmer bildet sich trotz der widrigen Umstände eine lange Schlange.

„Ziel ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten.“

Bangladesch ist mit einer Einwohnerzahl von 162,9 Millionen Menschen eines der am dichtesten bevölkerten Länder der Erde. Die Straßen sind brechend voll und über der Stadt hängt eine große Smog-Wolke. Dies macht sich gesundheitlich deutlich bemerkbar, viele unserer Patienten hier leiden unter chronischer Bronchitis. Sie kommen monatlich, um sich regelmäßig die nötigen Medikamente abzuholen.

Zur Verfügung steht uns in der Ambulanz ein Ultraschallgerät, Röntgenaufnahmen können in einer nahegelegenen Praxis angefertigt werden. Auch arbeiten die German Doctors mit einem Labor zusammen. Auf die Werte muss man allerdings bis zum nächsten Arbeitstag warten. Da sich die Organisation komplett durch Spenden finanziert und möglichst viele Patienten behandelt werden sollen, ist Kosteneffektivität geboten. Hier wird zweimal darüber nachgedacht, ob eine Blutuntersuchung wirklich zielführend und therapeutisch relevant ist und auf welche Werte man vielleicht verzichten kann.

„Ein Krankenhausbesuch stellt für viele Menschen nicht nur ein finanzielles Problem dar.“

Der nächste Patient ist ein dreijähriges Kind, der Junge macht auf den ersten Blick keinen guten Eindruck. In dem fahlen Licht ist es schwer erkennbar, aber mit Hilfe der Taschenlampe stellen wir die Diagnose Masern. Diese sind hier aufgrund des leider trotz staatlicher Impfprogramme oft unzureichenden Impfschutzes immer wieder anzutreffen. Besonders schwere Verläufe verzeichnen wir hier bei den unterernährten Kindern, von denen ich mehr sehe, als ich erwartet hätte. Wir behandeln symptomatisch und geben der Mutter vorsorglich eine Überweisung ins Krankenhaus mit. Mit diesem Papier ist sichergestellt, dass die anfallenden Kosten durch die Organisation übernommen werden. Die Behandlung im staatlichen Krankenhaus ist zwar kostenlos, jedoch müssen alle Medikamente von den Angehörigen vor der Applikation erst in der nächsten Apotheke gekauft werden. Im Endeffekt gibt es also doch keine Behandlung ohne das nötige Geld.

Eine Großzahl unserer Patienten sind Kinder und Frauen, ältere Patienten sieht man hier deutlich weniger als in Deutschland. Trotz des Geburtenrückgangs liegt das Bevölkerungswachstum immer noch bei 1,2 Prozent und gerade ärmere Familien zeichnen sich durch Geburtenreichtum aus. Der Schwangerenvorsorge sowie der Aufklärung zur Familienplanung kommt in der Sprechstunde eine wichtige Bedeutung zu. Durch regelmäßige Kontrollen von Blutdruck und Blutzucker sowie Substitution von Eisen, Vitaminen und Folsäure können viele Komplikationen verhindert oder früh erkannt behandelt werden. In den letzten Jahren ließ sich ein deutlicher Rückgang der Kindersterblichkeit verzeichnen. Dennoch berichteten mir viele Patientinnen, bereits ein Kind, meist vor dem ersten Lebensjahr, verloren zu haben. Häufige Todesursachen sind Infektionen wie Pneumonien oder Diarrhoen. Ein Krankenhausbesuch stellt für viele Menschen nicht nur ein finanzielles Problem dar. In Bangladesch herrscht eine Analphabetenquote von 57 Prozent, sodass viele unserer Patienten die ärztlichen Anordnungen nicht lesen können und sich im Krankenhaus nicht zurechtfinden und somit einen Krankenhausaufenthalt scheuen.

Um sicherzustellen, dass unsere Patienten, die dringend eine stationäre Behandlung benötigen, in der richtigen Abteilung ankommen und die notwendige Versorgung erhalten, gibt es Charles, einen Mitarbeiter, der sich speziell um die Krankenhauseinweisungen kümmert, die Patienten begleitet und regelmäßig besucht. Besonders schön war es, die Patienten nach ihrer Entlassung wiederzusehen – insbesondere wenn Mütter nach einem Notfall in der Schwangerschaft nach Kaiserschnitt mit einem gesunden Säugling zurückkamen. Die German Doctors sind in verschiedenen Ländern der Welt tätig und betreiben Ambulanzen wie in Bangladesch oder kleinere Kliniken. Ziel ist es, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. Ein wichtiges Standbein ist die Ausbildung einheimischen medizinischen Personals, um die Projekte irgendwann ganz in lokale Hände abzugeben. Viel Wert wird auf Aufklärung und Gesundheitserziehung der Bevölkerung gelegt. In Chittagong betreiben die German Doctors zum Beispiel ein Community Based Center, in dem Informationsveranstaltungen, insbesondere zur Frauengesundheit, angeboten werden. Auch gibt es dort ein Feeding Project, in dem unterernährte Kinder jeden Tag eine warme Mahlzeit erhalten. Die Mütter lernen dort, wie sie mit wenig Geld dennoch ausgewogen für ihre Familie kochen können.

Ohne viele der in Deutschland längst gängigen Medizingeräte war es umso wichtiger, von den Patienten möglichst viel über ihre Krankengeschichte zu erfahren. Nasrin (r.) übersetzte stets mit viel guter Laune und Motivation ins Englische.

Bangladesch war nach den Philippinen 2015 mein zweiter Einsatz mit den German Doctors. Die Einsatzlänge beträgt jeweils sechs Wochen. Durch fest angestellte lokale Mitarbeiter ist die kontinuierliche Patientenversorgung trotz des kurzen Einsatzzeitraumes gewährleistet. Alle Mitarbeiter sind sehr gut ausgebildet und stehen einem mit Rat und Tat zur Seite, sodass man sich trotz der fremden Umgebung und ungewohnten Arbeitsbedingungen auf das Medizinische konzentrieren kann. Die Arbeit in Bangladesch war eine wundervolle Erfahrung. Mit wenig Mitteln kann man doch viel erreichen und ich habe selten so dankbare Patienten erlebt.

Informationen zu den German Doctors, ihren Projekten und Unterstützungsmöglichkeiten unter: www.german-doctors.de

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